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Digitale Barrierefreiheit: Vom Pflichtprogramm zum Wettbewerbsvorteil

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Der European Accessibility Act (EAA) und seine nationale Umsetzung im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind am 28. Juni 2025 in Kraft getreten und markieren einen fundamentalen Paradigmenwechsel: Digitale Barrierefreiheit wird von der freiwilligen Kür zur gesetzlichen Pflicht. Alle B2C-Online-Shops, Banking-Apps, Buchungssysteme, E-Learning-Plattformen und digitale Gesundheitsdienste müssen ab sofort die WCAG 2.1 Level AA erfüllen - mit Bußgeldern bis zu 100.000 EUR bei Verstößen. Die Übergangsfristen sind minimal: Nur bereits genutzte Dienste haben bis 2030 Zeit. In Österreich und der Schweiz (für EU-Export) gelten identische Anforderungen.

Die Herausforderungen sind erheblich: Nur 14% der Unternehmen haben im März 2025 Compliance-Maßnahmen eingeleitet, 27% haben sich noch nicht damit befasst. Die technische Umsetzung ist komplex - über 50 WCAG-Erfolgskriterien müssen erfüllt werden, von ausreichenden Farbkontrasten über Tastaturbedienbarkeit bis zu barrierefreien PDFs. Automatisierte Testing-Tools (axe, WAVE, Lighthouse) decken nur 30-50% der Anforderungen ab - manuelles Testing mit Screenreadern und echten Nutzern ist unverzichtbar. Besonders der Handel steht unter Druck: 61% der Menschen mit Behinderungen kaufen online ein (mehr als der Durchschnitt mit 51%), ein Markt von 135 Millionen Menschen in der EU bleibt vielen Shops verschlossen.

Doch die Business-Perspektive wandelt sich: Eine UK-Supermarktkette investierte 35.000 GBP in Barrierefreiheit und steigerte den Umsatz um 13 Millionen GBP - ein ROI von 37.043%. Barrierefreie Websites ranken besser bei Google (semantischer Code, klare Struktur), erreichen ältere Nutzer (alternde Gesellschaft) und bieten bessere User Experience für alle. Unternehmen wie Grant Thornton, KPMG und PwC positionieren Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil und ESG-Faktor. Ein Consulting- und Testing-Markt entsteht: TÜV SÜD bietet Zertifizierungen an, Bitkom veröffentlichte im Januar 2025 einen umfassenden Praxisleitfaden.

Ring "act" ist zwingend, weil die gesetzliche Verpflichtung seit 28. Juni 2025 gilt und Abmahnwellen, Verbandsklagen und Marktüberwachungsbehörden ihre Aktivitäten hochfahren. Wer jetzt nicht investiert, riskiert nicht nur Strafen, sondern verliert messbar Marktanteile an barrierefreie Wettbewerber. Die Branchen Handel, Gesundheit, Bildung, Soziales und Pharma müssen ihre digitalen Touchpoints sofort auf WCAG-Konformität prüfen. Besonders kritisch: Kleinstunternehmen (< 10 Mitarbeiter, < 2 Mio. EUR Umsatz) sind bei Dienstleistungen ausgenommen - wer darüber liegt, hat keine Ausreden mehr.

Quellen: Bundesfachstelle Barrierefreiheit (2025), Bitkom Praxisleitfaden (Januar 2025), HDE-Studien (2024/2025), Aktion Mensch (2024), PwC/Grant Thornton/KPMG (2024/2025)